I. Die Schlichtung wird erzwungen 13 страница



Immer werden zwei Kräfte miteinander ringen. Der Sturm treibt die Windmühlenflügel auf beiden Seiten des Berges. Die Taktik der Gesellschaft, sich in die Breschen der Streikenden einzuschmuggeln - das immer stärkere Versiegen aller Geldquellen der Streikenden - die Korruptionsgelder - alles drang auf die Streikgruppen ein. Die Gesellschaft hatte der Genossenschaft die Räume gekündigt und sie gewaltsam auf die Straße gesetzt; die Restaurants, die Stützpunkte der Ernährungsabteilungen, wurden von der Gesellschaft aufgekauft und geschlossen.
Während sich die Kampffront immer mehr verbreiterte, wurde die Zahl der Streikführer immer kleiner. Durch das Netz der S-Abteilungen hindurch transportierte die Gesellschaft immer mehr von diesen merkwürdigen "Waren" auf Lastwagen in die Fabrik. Aber das war noch nicht alles. Die Gesellschaft schob ihre Hand bis in den Ausschuß der Bewohner des Kotshikawa-Bezirks, der gegründet war, um die Not der Streikenden zu lindern und den Untergang des Bezirks aufzuhalten. Hier zeigte das ausgeworfene Geld am ersten seine Wirkung. "Wir fordern Okawa auf, sich zu überlegen, ob er so hartnäckig sein will, den ganzen Bezirk untergehen zu lassen. "
Die angekündigten Protestkundgebungen des Bezirks, auf denen diese Resolution gefaßt werden sollte - sie fanden sonst jeden Abend statt -waren gestern und heute schon ausgefallen.
Hagimura, Yamaura und Kamei, die ständig mit diesem Ausschuß zusammengearbeitet hatten, waren heute abend von diesen Leuten noch besonders aufgefordert worden.
Als die drei ins Büro des Ausschusses im Tempel Eme-in kamen, wurden sie von sieben mißgelaunten Gesichtern empfangen. Bis jetzt waren Hagimura und die anderen bemüht gewesen, freundschaftlich mit dem Ausschuß zu arbeiten, sie hatten auch in gewissen Fragen immer Sympathie gefunden.
" Entschuldigen Sie unsere Verspätung, wir haben immer so viel zu tun..". sagte Hagimura, als er Platz nahm. Aber die Kleinbürger taten ganz fremd, während sich die drei Mühe gaben, ein freundliches Gesicht zu machen.
" Ich habe gehört, Ihre Führer sollen Kommunisten sein." Das kam unerwartet. Die drei Arbeiter sahen sich an, die Sache schien ihnen ein bißchen komisch. Der alte Mann mit langem Vollbart, der das eben gesagt hatte, war Inhaber einer kleinen Schlosserei und Bezirksverordneter der Minseito.
" Ist das wahr?" fragte nun Takegawa, ein kleiner Hausbesitzer, der neben dem Vollbart saß und seine Glatze leuchten ließ. Das Benehmen der Ausschußmitglieder hatte sich in dieser einen Nacht völlig verändert.
" Worauf soll das eigentlich hinaus?" erkundigte sich Hagimura, immer noch bemüht, freundlich zu lächeln, nach dem Grund dieser etwas dunklen Frage. Gerade dieser kleine Schlossermeister und ebenso der Priester des Tempels, der an der Tür saß, hatten gelegentlich einmal zu ihn©n gesagt: wenn sie recht haben, unterstützen wir auch die Kommunisten; denn gegen so freche Unternehmer sind selbst kommunistische Methoden erlaubt. Sie hatten also nur ein großes Maul gehabt. Es mußte ein bestimmter Grund vorliegen, daß diese Leute heute nacht so völlig umgewandelt waren und ein merkwürdig kaltes Benehmen zur Schau trugen, dachten die Arbeiter.
" Wer hat Ihnen eigentlich so etwas erzählt?" fragte Hagimura den Bezirksverordneten, der immer noch schwieg, an seiner Stelle entgegnete der kleinmütige Priester:
" Wir haben das vom Polizeiamt Kobinata gehört." "Aha, hat vielleicht der Polizeivorsteher das gesagt?" Hagimura und seine Genossen verstanden nun ungefähr: diese Leute hatten wahrscheinlich heimlich mit dem Polizeiamt verhandelt und zugestimmt, den Innenminister als Schlichter auftreten zu lassen. Das kühle Schweigen, das dieser Unterhaltung folgte, bedrückte den kahlen, kalten Raum des Buddha-Tempels. Die Halle des Tempels diente als Streiklokal der zweiten Gruppe. Die Sympathie des Priesters hatte die Streikenden geschützt, so daß diese Gruppe noch niemals ihr Lokal wechseln mußte.
" Ist heute abend keine Versammlung?" Yamaura wollte die Unterhaltung auf ein anderes Gleis bringen.
" Nein, wir wollen keine Versammlungen mehr machen", erwiderte zornig der Besitzer einer kleinen Druckerei. Die drei Arbeiter erschraken - "hm, sie sind bestochen - aha, bestochen..." "Warum denn nicht?" fragte Kamei, ohne sich beleidigt zu zeigen. "Wir können keine Kommunisten unterstützen", erklärte kurz ablehnend der Schlossermeister. Hagimura sah ein, daß es keinen Zweck hatte, noch weiter ein verbindliches Gesicht zu machen. "Haha, Sie sympathisieren mit der Gesellschaft." Der Stich traf die schwächste Stelle dieser Kleinbürger, und man sah gleich die Wirkung. Sie schämten sich etwas und wandten ihre Gesichter ab.
" Wir waren von Anfang an streng neutral und sind es noch heute. " Der alte Schlosser steckte seine Zigarette in die Asche des Ofens. Dann schwiegen wieder alle. Hagimura dachte, das würden von morgen an stramme Reaktionäre sein.
" Nebenbei, ich möchte Ihnen sagen wegen dem Versammlungslokal - -", begann der kleinmütige Priester mit einem verzweifelten Ausdruck, als wolle er eine große Last von der Schulter wälzen. "Die Provokation durch die Polizei ist zu stark - und auch unsere Tempelgemeinde protestiert sehr energisch. "
Auch das war jetzt klar: auch aus diesem Lokal würden sie morgen herausgeschmissen sein. - Auch dieser Hund ist mit drei- oder vierhundert Yen bestochen... Der Zorn würgte Hagimura in der Kehle. Yamaura stieß gegen sein Knie, er solle sich zusammennehmen. "Das ist sehr schade - aber dann kann man natürlich nichts machen, ist ja von Ihrem Standpunkt ganz verständlich. Aber geben Sie uns doch ein paar Tage Aufschub, bei unserer langen Freundschaft. " Das konnte der Priester natürlich nicht ablehnen. Aber es würde unmöglich sein, in diesem Bezirk einen passenden Saal zu mieten, wenn diese Kleinbürger offen zu den Reaktionären übergingen. "Also, Sie wollen uns nicht mehr beistehen....", sagte Kamei, um zu Ende zu kommen.
" Und lehnen uns ab, weil wir Kommunisten sind", warf Hagimura höhnend ein. Die Suppe war gar.
Die drei gingen hinaus. - Es war schon gleichgültig, diese Kleinbürger gehörten zu einer Klasse, die auf die Dauer nicht mit ihnen zusammengehen konnte. Draußen wehte es kalt.
" Sie werden von morgen ab Helfershelfer der Reaktion sein." Kamei drehte sich zu Yamaura, der ihm folgte.
" Sie waren von Anfang an so. Besonders dieser Bezirksverordnete hat uns nur unterstützt, um von der Gesellschaft Geld herauszuschlagen. " "Dann haben sie wenigstens ihre Absicht durchgeführt." Die drei lachten laut, aber die furchtbare Verlassenheit erstickte das grundlose Lachen.
Hagimura verabschiedete sich von den andern beiden und ging nach Hause, er hatte noch einige Stunden Zeit bis zu Sitzung der Zentralleitung. Als er bis zur Mitte des Haksuan-Abhanges gekommen war, stieß er mit Takae zusammen, die eilig aus der Tür seines Hauses kam. Im Schein der elektrischen Lampen sah er ihr Gesicht. "Was ist Taka-tjan?" Sie hatte ihn bis jetzt gesucht. "Oh, Okayo liegt im Sterben, komm zu uns - schnell -."

 

SCHATTEN ÜBER DEN FAHNEN

I. Qualvolles Sterben

Takae rannte voran, Hagimura folgte ihr durch die dunklen Gassen der Baracken.
Schon an der Haustür drang ihnen der starke Geruch von Kreosot entgegen. Ununterbrochenes Stöhnen übertönte das Geräusch, das die ganze Familie machte.
Der weiße Operationskittel des Arztes lag mitten im Zimmer, wie eine heruntergeschlagene Motte. Die Frauen und Kinder der Nachbarschaft drängten sich an der Tür; das unaufhörlich aufquellende Stöhnen hielt sie im Bann, sie hielten ihre Köpfe schief und litten mit der Kranken.
" Schwester------"
Okayo suchte in einer Pause der Wehen die Hand der Schwester. Der starke Blutverlust hatte schon ihre Sehkraft getrübt. Takae schob die Leute, die an der Tür standen, beiseite und trat an die Kissen. Das Kind, auf das sie ihre letzte Hoffnung setzte, war noch nicht geboren. "Ich bin ja bei dir, Kayo-tjan - faßt meine Hand, halt' dich ganz fest." Takae zog ihre Augenbrauen hoch wie im Wahnsinn und ließ die beiden suchenden Hände der Schwester sich an den ihren festklammern. "Faß doch fest, sei nicht so bange, kleines Häschen. " Die Schmerzwellen zermahlten den schwachen Körper der Kranken, daß sie sich zusammenkrümmte; dann wieder bog sie sich hoch und ihr ganzer Körper warf sich wie verbrennendes Papier in der Flamme. Die ältere Schwester bemühte sich, das kleine Leben, das die Flut entführen sollte, in ihren Armen zu bergen.
Hagimura wurde vom Arzt und der Pflegerin in die Ecke geschoben und saß und stand abwechselnd hilflos herum. Er glaubte, irgend etwas tun zu müssen, wußte aber nicht, was er anfangen sollte, grad' so, als stände er vor einem sich zu rasch drehenden Zahnrad. Außerdem machte ihn diese Szene, vor der ein Mann immer Angst hat, an sich schon verlegen.
Man hörte die heisere Stimme des alten Vaters: "Sie stirbt - bitte, bitte, helfen Sie ihr doch."
Die Frucht, noch nicht sechs Monate alt, war infolge der Beri-Beri-Krankheit im Mutterleib abgestorben, und das Mädchen war zu schwach, das tote Kind herauszutreiben. Sinnlos quälte sie sich in den Wehen. "Hallo, holen Sie noch einen Arzt ------ wenn sie einen Herzkrampf bekommt, ist alles vorbei ------ ganz gleich wer, aber schnell bitte. "
Der Arzt sagte das grob, ihn kümmerten die Gefühle der Kranken nicht weiter. Hagimura eilte hinaus.
Die schmerzenden Wehen kamen in immer kürzeren Zwischenräumen.
Die Nachbarin, die in der Küche vor Hilflosigkeit fortwährend Wasser kochte, drehte jedesmal, wenn das Stöhnen lauter wurde, den Kopf
zur Kranken und sagte:
" Noch mal tief Atem holen - so - noch mal - preß dich zusammen... Oh - ah - ja, ja sie ist so herunter." -
Das tote Kind war schon mit dem Kopf heraus, die Krankenschwester saß gebückt bei der Kranken, wandte sich zum Arzt und berichtete:
" Herr Doktor, schon eine Stunde und sieben Minuten seit dem ersten Wasser."
Wenn die Welle des Schmerzes zurückebbte, wurde das Bewußtsein der Kranken ganz matt, sie fiel in sich zusammen wie ein Blasebalg.
Dieser Zustand war noch gefährlicher als die Zeit, in der sie von den Schmerzen gequält wurde. Dann zog Takae sie stark an den Haaren, um sie wieder zum Bewußtsein zu bringen.
" Du mußt es herauspressen, selbst das tote Kind muß heraus - sonst muß Okayo sterben. "
" Schwester... " flüsterte Okayo und suchte Takaes Hand, wenn mit dem Schmerz das Bewußtsein wiederkam.
Die Kinder aus den Baracken, die vor der Tür standen, begannen zu weinen.
" Bitte, bringen Sie das Kind heraus, und wenn Sie es zerschneiden müssen, meine Schwester muß leben, auf jeden Fall!" Takae sah böse auf den Arzt, der mit seiner kalten Geschäftigkeit die Kranke loswerden wollte, und schrie wie besessen: "Verdammt, wenn meine Schwester stirbt, werde ich diesen Hunden, dieser Polizei, die Kehlen durchbeißen."
Die dicke Krankenschwester, die die beiden Schenkel der Kranken
hielt, sah erschrocken in das wilde Gesicht. Hagimura kam keuchend zurück:
" Er kommt gleich - es ist ein Arzt für innere Leiden, ist es gut so?" Der Arzt nickte böse.
" Ich habe seinen Koffer mitgebracht, damit er kommen muß. " Dann trat er leise an die Kissen. Okayo lag schon wie tot. Nur ein leises Stöhnen, wenn sich beim Einsetzen der Wehen der zuckende Körper aufbäumte, verriet noch, daß Leben in ihr war. "Kayo-tjan, siehst du mich noch - Hagimura -."
Der große starke Mann flüsterte an ihrem Ohr. Aber ihre leeren Augen bewegten sich nicht, sie erkannte ihn nicht mehr. In ihrer völlig veränderten gelben vertrockneten Stirn lagen die großen, versunkenen Augen, in denen nur eine wehe Erinnerung an die ehemalige Okayo blieb -wie vom Wind verwehte Blüten.
" Bleib bei dir, Okayo", schrie Takae krampfhaft, wie irre, jedesmal, wenn der Druck der kranken Hand nachließ.
Der andere, schweigsame Arzt kam herein, die beiden Ärzte begrüßten sich mit einer Höflichkeit, die wenig zu der Stimmung in diesem Zimmer paßte. Dann berieten sie sich über die Behandlung, nahmen verschiedene Nickelinstrumente und bereiteten die Operation vor. Da bewegte Okayo den Mund. Takae hielt ihr Ohr schnell an den zitternden Mund der Schwester und fragte: "Was willst du?" Okayo war jetzt vollkommen von Sinnen und hatte Haluzinationen; sie faßte den rechten Arm Hagimuras und sagte mit schlaftrunkener Stimme wie ein gesunder Mensch:
" Saburo (das war der Vorname Miatjis), es geht mit mir zu Ende. Alles vorbei - vorbei - unser Kind auch... "
Okayo bewegte den Mund, ruhig und kaum hörbar: "Der Streik ist auch vorbei - - alles vorbei - -."
Aus ihrem Gesicht verschwanden die Schatten der Schmerzen und Qualen. Takaes rotgeweinte Augen spiegelten Verzweiflung und Verwirrung wider. Die letzten Worte der Schwester preßten ihre Kehle zusammen, sie legte den Kopf auf die Kissen, ohne einen Laut - ohne zu weinen ------.
Die Kranke ließ ihre Hand vom Arm Hagimuras herabfallen.

Okayo war tot - ein Herzkrampf hatte ihr Leben beendet, wie eine Blüte, die der Wind fortweht.
" Machen Sie keinen Unsinn", sagte Takae zu den zwei Ärzten, die mit ihren Messern sich der Toten näherten.
Sie weinte nicht mehr.
Auf das erkaltende Gesicht der toten Schwester starrend, saß sie an den Kissen, regungslos wie ein Stein. Schluchzen kam vom Fußboden der Küche. Der kranke, alte Vater stierte irre auf einen Punkt. Die Leute aus den Baracken sammelten sich, sie holten aus der Pumpe Wasser und füllten die leeren Reiskästen mit Reis und kochten Essen für die Familie. Sie legten den Leichnam dorthin, wo die Bettmatte des alten Vaters gelegen hatte; der alte Hiko, der gegenüber in der Baracke wohnte, saß vor dem kleinen Hausaltar und schlug die Glocke. In der kleinen Kammer und in der Küche saßen die vielen Leute gedrängt, beteten die heiligen Texte und hielten die Totenwache.
Am nächsten Morgen kamen alle Streikenden, sie stellten die rote Fahne an das Kopfkissen der Toten.
Hagimura beriet mit dem Alten die Trauerfeier und sammelte Geld von den Streikenden, die ohne Zögern von dem wenigen gaben, das sie selber hatten.
Am nächsten Abend wurde der Leichnam über die Brücke des Senkawa-Kanals, den Haksuan-Abhang hinauf, zum Armenfriedhof in Soshikawa gebracht. Über die einsamen Gräber wehte wild der Winterwind, am Saume des Waldes verwob sich die Dunkelheit in den Baumkronen.
Takae stand tränenlos an dem kleinen Grabhügel. Ringsum standen die Trauernden, schweigende Sterne. Als Vertreter der Streikenden verlas Takagi vor dem Grabhügel die Abschiedsworte. Die rote Fahne der Streikenden, von Mori, einem Freund Miatjis getragen, bewegte sich schwer und dunkel über dem kleinen Grabhügel.
"... wir stehen jetzt, mit diesem neuen Opfer, auf der Grenze zwischen Leben und Tod. Wie können wir diesen Toten danken------?"
Aus einer einfachen Schale stieg der Weihrauch inmitten einer dichten Menschenmauer hinauf in den Abendhimmel. Ojah, Fusa-tjan, Okimitjan, Gin-tjan nahmen ein wenig Räucherpulver, sie hatten alle verweinte Augen - streuten das Pulver in die Schale und schluchzten. "Tote Genossin, du hast im Leben wenig Glück gesehen. Wir werden die Erinnerung an dich in unseren Herzen tragen und in unser Gedächtnis eingraben."
Okimi begann plötzlich laut zu weinen. Nun kam das Weinen von allen Seiten.
Takaes Lippen zitterten, aber ihre Tränen waren eingefroren------.
" Wir schwören an deinem Grabe, unter unseren Fahnen, daß wir unsern Kampf bis zur Entscheidung fortführen werden. "
Mit gesenkten Köpfen standen regungslos die Frauen. Einige Männer begannen zu singen, in einem Augenblick schwoll das Lied hoch an, alle sangen.
Nur sie konnten es wagen ihre Trauer, ihre Freude, ihren Zorn, all ihre Gefühle in diesem Gesang, diesem Rhythmus zu bergen.
" Fahne des Volkes - rote Fahne------"
Die Fahne flatterte von den singenden Stimmen bewegt. Vom fernen Horizont drohte die Finsternis, die singenden Stimmen wurden vom Wind verweht und vom Wald verschluckt. Dann ging die Fahne vom Grabe fort, und die Leute zerstreuten sich langsam.
Die Sonne war jetzt ganz untergegangen, und der Grabhügel blieb einsam und verlassen. Takae kniete vor dem Grabe. Sie fühlte die kalte Erde, unter der ihre Schwester schlief, ihr erstarrtes Herz wurde weicher. "Kayo-tjan..." Der Wind trug den Ruf fort. "Kayo-tjan, antwortest du nicht mehr - -?"
Plötzlich überfiel sie der Schmerz, und ihr Rücken zuckte, von einem heftigen Weinkrampf erschüttert. "Mein Kind, mein liebes, das ist dein Vater. "
Sie nahm ein Photo Miatjis aus der Tasche und legte es auf den Hügel . Hagimura stand hinter ihr und wagte nicht, sich zu bewegen. Er war tief erschüttert. Die Nacht senkte sich über den Friedhof, auf dem außer ihnen kein Mensch mehr war, und in der Tiefe der Dunkelheit verschwand der Grabhügel. "Okayo, Okayo ... "
Takae drückte ihren Kopf auf die Erde, weinte und schrie und tobte verzweifelt. Die fernen Büsche verloren in der Dunkelheit ihre Umrisse, der Wind wühlte in ihnen und wirbelte um den Grabhügel, unter dem Okayo mit ihrem toten Kind schlief.

 

II. Das geheimnisvolle Feuer

Noch einige Tage nach dem Tode Okayos lebte Takae ganz mit dem alten Vater zu Hause, sprach kein Wort und schien völlig erschöpft wie . eine kranke Katze.
Sie fühlte immerfort Schwindel, als ob sie von einem hohen Felsen herabstürzte. Kimi-tjan und Fusa-tjan kamen täglich auf dem Rückweg von der Versammlung zu ihr. Auch die freundlichen Nachbarn kamen öfter herein, um sie zu trösten. Aber selbst wenn sie die tröstenden Worte an Okayo erinnerten, konnte sie nicht mehr weinen, sie konnte sich nicht vorstellen, wie die allzu stark schmerzende Wunde heilen sollte.
Eines Abends, als sie nachdenklich am kalten Ofen saß, schrie Fusatjan mit der ihr eigentümlichen schrillen Stimme herein: "Taka-tjan, weißt du, diese Rothaarige ist in die Fabrik zur Arbeit gegangen. Sie hat immer nur ein großes Maul gehabt, und jetzt verrät sie uns!"
Der schwarze Schal ließ nur ihre Augen sehen, wie sie durch die Türspalte diese Neuigkeit rief: die Rothaarige hatte am lautesten auf seiten Ojas gebrüllt.
" So" antwortete Takae mechanisch. Sie zeigte kaum Interesse. Fusa-tjan sah sie enttäuscht an und schob den Kopf ganz durch die Türspalte: "Diese Damen verraten uns, wenn es uns Arbeitern am schlechtesten geht, verdammt das ist doch kaum zu glauben!"
Aber Fusa-tjan bekam keine Antwort, schloß schließlich wieder die Tür und ging fort; laut klapperten ihre Schritte auf den Brettern des Straßengrabens (Anm.: Die "Rinnsteine" in den japanischen Armenvierteln sind aus Holz.). Takae blieb in ausdruckslosem Schweigen zurück. Auch im Hause konnte sie an dem Gasolingeruch, den der Wind bis hierher trug, spüren, daß die Kraft der Streikenden Tag für Tag schwächer wurde.
Aber sie war für diesen Geruch schon fast unempfindlich geworden. Je mehr sie von einem Tag zum andern das quälende Schwindelgefühl niederdrückte, desto gefühlloser wurde sie. Sie blieb fast gleichgültig, wenn die Frage nach Sieg oder Niederlage des Streiks an sie gestellt wurde. Das alles war jetzt unwichtig für sie, die nicht mehr glauben wollte, daß es in ihrem künftigen Leben noch Licht geben würde. "Den Feind schlagen, oder sich schlagen lassen, einen anderen Weg gibt es nicht mehr. "
Es war ihr nur zu klar, wer sie vom Felsen herabgestoßen hatte. Sie brauchte sich nicht erst umzudrehen. Sie fühlte die Augen des Feindes im Rücken - die todglühenden Augen - schmerzhaft und heftig. Diese kranke Katze leckte nicht einmal mehr ihre Wunde. Ihre Augen funkelten und sie schärfte ihre Nägel. Der Wind riß an dem Blech auf dem Dache, klapperte mit den Grubendeckeln und schlug mit dem Giebelfenstern. Der alte Vater lag den ganzen Tag zusammengekrümmt in den Kissen und stöhnte. Und auch die Barackenreihen lagen wie tot im trockenen Wind des Jahresendes.
Eine Woche nach dem Tode Okayos ging Takae zum ersten Male aus dem Hause. Aber sie ging nicht zu den Streikenden, ihr Gesicht von einem Schal verhüllt, irrte sie, vom Wind getrieben oben den Abhang entlang, bog in die Villenstraße ein. Sie wußte noch genau, wo die Villa Okawas lag.
Am Abend kam sie wieder zurück, und am nächsten Morgen in der Frühe ging sie wieder fort.
Auf dem Heimweg von einer Sitzung der Zentralstreikleitung verabschiedete sich Hagimura von Kamei und Terraishi auf der Kasugastraße und ging geradeaus in der Richtung auf Haksuan die Schienen entlang. Die Läden zu beiden Seiten der Straße hatten noch ihre Türen geschlossen. Die müden Lampen verblaßten in der frierenden Luft der ersten Dämmerung.
Den Kragen seines Mantels hochgeschlagen, ging er nachdenklich durch die Straßen, in denen noch nicht einmal die erste Straßenbahn fuhr. Er beschleunigte seine Schritte, um seine Fußspitzen, die vor Kälte fast gefühllos waren, zu erwärmen.
Deutlich hatten sich in der Sitzung der Zentralstreikleitung, die von gestern abend bis in den Morgen gedauert hatte, zwei Richtungen unterscheiden lassen. Bisher hatte man sich in den Sitzungen wenigstens am Schluß noch immer geeinigt, auch wenn die gegensätzlichen Meinungen noch so heftig aufeinanderprallten. Die Hoffnung eines Sieges in den ökonomischen Fragen lag vor den Leuten wie ein noch nicht geöffnetes Lotterielos. Und die Führer machte der Stolz auf die vergangenen Streiks, aus denen sie immer als "siegreiche Generale" hervorgegangen waren, etwas hochmütig. In der Tiefe ihres Herzens klebte noch"der alte, süße Traum", in dem sie wie durchgehende Droschkenpferde kämpften und mit Löwenmut die Massen anfeuerten.
Aber dieser Streik machte im Gegensatz zu allen süßen Träumen das Elend noch größer, und die unvermeidlichen, schrecklichen Folgen erschienen vor ihren Augen wie die roten Warnungszeichen an einem Gasometer.
" Wir hätten bei der ersten Verhandlung überlegter vorgehen müssen", begann Kamei jammernd.
" Außerdem haben wir uns bei der zweiten Verhandlung verrechnet", sagte Yamaura tadelnd zu Nakai.
Nogota, Ando, Oshima, Matsusawa - fast alle leitenden Delegierten der Daido-Druckerei stimmten dem Tadel Yamauras zu. "Willst du das auch noch verständig gehandelt nennen?" Nakai blieb mit gesenktem Kopf sitzen und biß sich auf die Lippen. Yamamoto und Terraishi brüllten los: "Was heißt verrechnet, wer hat sich verrechnet! ?" Zu allem Unglück kam noch die Spannung zwischen den Leuten der Daido-Druckerei und den Berufsrevolutionären hinzu, die jetzt zur Entladung kam.
Takagi schwieg finster vor sich hin. Nakai war niedergedrückt als trüge er eine schwere Last.
Verrechnet - das war schon vor dem Sturm auf die Oji-Papierfabrik geschehen. Sie hatten den Fehler gemacht, die zweite Verhandlung, von der der Sieg der Streikenden erwartet werden konnte, - nur etwa zweihundert Mann sollten zu günstigen Bedingungen entlassen werden - zum Scheitern zu bringen, nachdem schon alle Forderungen der Streikenden angenommen waren. Es war schon so weit, daß Direktor Furuya als Vertreter der Gesellschaft, und Oda, Takagi und Nakai die Abmachungen festgelegt hatten, und daß nach Ablauf von sechs Stunden dieser Vertrag von einem Notar unterzeichnet werden sollte.
Aber drei Stunden später wünschte Direktor Furuya plötzlich Aufschub der Unterzeichnung und erklärte kurz darauf, er müsse die Verhandlungen abbrechen. Er selbst wurde seines Postens als Vertreter der Gesellschaft enthoben. Leider aber hatten die Vertreter der Streikenden nicht daran gedacht, daß über dreihundert Streikbrecher in der Fabrik saßen.
Diese dreihundert Ratten würden, zusammen mit den anderen Reserven, der Gesellschaft, von Direktor Furuya ganz abgesehen, sie zum Selbstmord zwingen.
Daß Sie sich derart fürchterlich verrechnet hatten, war die Ursache, daß die Streikenden zum dritten Male ihre ganze Entschlossenheit aufbieten mußten.
Jetzt entschloß sich auch Okawa, den ganzen Profit von fünf Jahren in diesem Kampf zu opfern; und so ging die Gesellschaft aus dem Kampf und der Unordnung neu gestärkt hervor.
Das Großkapital hatte den Schleier seiner Vampirmaske gelüftet. Erst nach dem Zusammenschluß Okawas und Shibusakas begann das Großkapital gleichzeitig mit der Kabinettsänderung seinen Generalangriff. So entbrannte zum dritten Male der Kampf. Alle Kräfte der linken Front in ganz Japan wurden aufgeboten und hier in der "Straße ohne Sonne" gesammelt. 2000 Yen Streikfonds und 5000 Streikhelfer wurden aus allen Gegenden Japans, von Kyushu, Shikoku, Aomori, Sapporo zusammengebracht.
Aber die Streikenden waren schon müde, sahen vollkommen erschöpft aus, von der drohenden Unterdrückung niedergeschlagen. "Wir haben uns nicht verrechnet, wir konnten nicht anders handeln" sagte Nakai und hob den Kopf.
" Wieso?" Yamaura und einige andere wollten sich nicht damit zufrieden geben.
" Wir sind noch nicht niedergeschlagen, und es wäre reiner Zufall gewesen, wenn jene zweite Verhandlung Erfolg gehabt hätte. " Nakais Gesicht sprühte Empörung. Yamaura schrie, was Nakai sage, sei eine reine Verdrehung der Tatsachen. - Die Diskussion war eher heftiger geworden. Vollends hatte die letzte Erklärung der Gesellschaft die oberste Streikleitung in zwei Lager gespalten:
" Die Gesellschaft wird ein Drittel der Streikenden nach ihrer Auswahl wieder aufnehmen. Den anderen zwei Dritteln wird sie nach einer an anderer Stelle veröffentlichten Berechnung das Entlassungsgeld auszahlen. Gleichzeitig ist die Streikorganisation aufzulösen. " "Sowas von Blödsinn, wir lassen uns nicht verkohlen!" schrie Ishisuka spontan. "Kämpfen und wenn alle Streikenden entlassen werden!" Aber Yamaura und die anderen wollten das nicht, sie dachten zuerst daran, wie elend die Lage dieser dreitausend Streikenden war. "Wenn noch mehr erwerbslos werden, wird die Revolution nur beschleunigt" höhnte Terraishi die Feiglinge.
Die meisten waren durch diese Äußerung empört. Jetzt ging es auch nicht mehr um die letzte Mitteilung der Gesellschaft jetzt kam der offene Gegensatz der Gefühle und Meinungen zum Ausbruch. Kampf gegen Okawa oder Kampf gegen die ganze obere Klasse. Kampf um die Entlassenen und Ausgesperrten oder Kampf bis zur letzten Entscheidung.
Aber auch Hagimura konnte dabei nicht ruhig bleiben. "Ob wir die Revolution beschleunigen oder nicht. Das Schlimmste ist jetzt der Hunger."
" Du kannst so etwas sagen, weil du überhaupt noch nicht aus dem Eßkasten essen mußtest!" höhnte Terraishi weiter. "Entlassen heißt für uns hungern, das versteht ihr nicht, ihr Bonzen!"
Diese Beschimpfung brachte Hagimura, ohne daß er es eigentlich wollte, ganz mit Terraishi auseinander. Er spürte außerdem seinen leeren Magen wie einen Eisblock.
Er war so wütend, daß er sich beinahe im Laufschritt davonmachte - -. Er war tief traurig, daß solche feigen Sklavengefühle in ihm waren, aber dieses Gerede von Terraishi, der sich, trotzdem er vielleicht mit am schlimmsten unter dem Hunger litt, so ohne Bedenken über sein Leiden und das Leiden der andern hinwegsetzen konnte, brachte ihn immer von neuem auf.
" Natürlich werden sie dazu bereit sein, aber wo sollen sie sich nachher verkriechen, diese dreitausend Erwerbslosen?"
Kurz vor der Ecke der Sasugarjastraße ging er von der Gasse der Asumagarage durch die Passage nach der Blinden- und Taubstummenschule auf dem Haksuanabhang, von wo es bis zu seinem Hause nicht mehr weit war. Theoretisch hatte Nakai natürlich recht, das mußte er selbst zugeben. "Erst schlafen, dann noch mal überlegen." Er schüttelte den Kopf und ging rascher um seine schlechte Laune zu verjagen. Es wurde schon heller.
Plötzlich, zuerst traute er seinen Ohren nicht: Feueralarm! Die Feuerglocke rasselte. "Ah, Feuer!" rief er unwillkürlich und sah sich um. Fast zu seinen Füßen, mitten in dem schneebedeckten Stadtviertel, stieg aus dem Gebäude der Daido-Druckerei schwarzer, wirbelnder Rauch, vom Wind getrieben. Dann schoß wie eine Fontäne eine Feuersäule hoch. Er blieb stehen. Die Feuerglocke weckte andere, jetzt tönten von allen Seiten die Glocken und zerrissen die Dämmerung. Der schwarze Rauch hüllte den Seminarwald in dichte Wolken, und das Schloß des Teufels, das die Straße ohne Sonne beherrschte, ertrank in den Flammen.
" Feuer, Feuer!"
Plötzlich waren seine Augen von Helligkeit geblendet, wie in einer Eisenbahn die aus dem Tunnel kommt. Er rannte den Abhang hinunter, seinen Hunger, seine Müdigkeit, seine Traurigkeit abschüttelnd wie ein Kind.


Дата добавления: 2018-02-15; просмотров: 732; Мы поможем в написании вашей работы!

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