I. Die Schlichtung wird erzwungen 3 страница



 

 

III. Frauenversammlung

Draußen wellte ein wilder Herbststurm. Ein Teil des Buddhatempels Anrakusi unter der Anhöhe des Botanischen Gartens diente als drittes Büro der Streikenden. In der Nähe des Eingangs des dunklen, verwüsteten Tempels standen einige Polizisten im Finstern, nur ihre Augen leuchteten.
Diese Weiber haben Mut."
Rund wie Lumpenknäuel kamen die Frauen vom Wind herangejagt. Sie verschwanden, als saugte sie der Tempel ein, im Vorbeigehen sahen sie die Polizisten über die Achsel an.
Drinnen begann die Funktionärsversammlung der streikenden Frauen. Als Takae erschien, war die Tagesordnung schon zur Hälfte erledigt. Sie setzte sich in eine Ecke des ungeheizten Zimmers und begrüßte die Kolleginnen mit einem bedrückten Gesicht.
" Guten Abend, entschuldigt, daß ich mich verspätet habe," sagte sie ganz leise zu Fusa-tjan, die, in einen schwarzen Wollschal gehüllt, der nur ihre Augen sehen ließ, neben ihr saß.
" Du bekommst keine Fleißprämie," scherzte Fusa-tjan, unter der vorspringenden Stirn sahen ihre Augen vorwitzig heraus. "Ach, schadet nichts, ich werde die ganze Nacht bleiben und die Arbeit nachholen."
Am Vorstandstisch saß Fräulein Oja, die Leiterin der Frauenabteilung. Im Zimmer, unaufhörlich schwätzend, waren etwa dreißig Frauen versammelt, sie schrieben, fragten, sprachen miteinander, wie es ihnen paßte.
" Kollegin Vorsitzende, man soll die Privatunterhaltungen verbieten," schrie Matsu-tjan, die rechts neben Takae saß. Takae dachte: das ist ein unangenehmer Mensch da neben mir, sie ist bei der Vorsitzenden lieb Kind. Ihre Stimme klang wie geborstenes Metall, unter rötlichem Haar
funkelten kleine Walfischaugen:
" Vorsitzende, laß abstimmen, mach schnell," schrie Fusa-tjan, um Matse-tjan zum Stillschweigen zu bringen, nachdem sie die Vorschlagsliste an Takae weitergegeben hatte. "Wie kann diese Rothaarige von Privatunterhaltungen reden, sie selber schwätzt soviel."
Fusa-tjan war nicht nur mit Matsu-tjan böse, die gegen sie voreingenommen war, sondern auch mit der Vorsitzenden, die vom Schlage jener nicht übermäßig gescheiten Intellektuellen war. "Die Tagesordnung fortsetzen!" kamen Zurrufe von den Mitgliedern
aus der Buchbinderabteilung.
" Was sagst du, du Wasserkopf," schimpfte Matsu-tjan leise Fusa-tjan, doch es war kaum zu hören. Sie hatte eigentlich mehr Angst vor Takae als vor Fusa-tjan. Takae hob den Kopf, nachdem sie das Protokoll unterschrieben hatte. Vor Takae hatte selbst die Vorsitzende, Fräulein Robuko Oja, ein bißchen Angst, deshalb dämpfte Matsu-tjan bei solchen Bemerkungen ihre Stimme.
Aber Takae dachte immer noch an Okayo und Hagimura. Sie grübelte darüber, ob Miatji wohl die heutige Brandstiftung auf dem Gewissen habe, wußte, daß es sich bestimmt aufklären würde, wenn sie mit Hagimura sprechen konnte, aber der war von der Verhaftung am Gokokutempol noch nicht zurück.
" Dann wollen wir über alle Vorschläge zusammen abstimmen," sagte die Vorsitzende und plusterte sich auf, nachdem sie sich mit der Schriftführerin beraten hatte.
Diese Frau mit dem Spitznamen "ewige Jungfrau" hatte noch niemals ihre Brille abgelegt, von ihrer runden Nase perlte fettiger Schweiß. "Sie hat eine Nase wie ein Hund, deshalb kann sie auch so gut riechen," sagten die Mädel, die zu der Vorsitzenden in Opposition standen. Sie hatte das typische Doppelkinn und die fettige Haut einer alten Jungfer. "Erster Punkt. Die Arbeit im Straßenverkauf wird unter Führung der Abteilungsleitung fortgesetzt wie gestern. Zweitens. Die Vorschläge der Genossin Matsu Takahaji, betreffend Gegenmaßnahmen gegen Sen Ogawa und andere Verräter, werden vom Gruppenleiterkomitee erledigt. Zu Ausschußmitgliedern sind ernannt: Koto Motsujama, Mutsu Tokura. Drittens. Methoden der Agitation der streikenden Arbeiterfrauen für unsere Sache, und zwar Organisierung der Frauenreferenten und agitatorische Theatervorführungen durch den proletarischen Künstlerverband. Dazu werden außer der Vorsitzenden zwei Ausschußmitglieder bestimmt. Das ist alles. Wer dafür ist, den bitte ich die Hand zu erheben."
Die Frauen hoben wie Schülerinnen die Hände. Die Vorsitzende zwinkerte der Schriftführerin zu.
Draußen hinter der Papiertür knarrte die Holztür im Wind. "Ach, ich bin so schläfrig," flüsterte Fusa-tjan in Takaes Ohr; die unterdrückte ein Gähnen und fragte:
" Wer kommte heute von der Streikleitung, um Bericht zu geben?" Fusa-tjan hielt den Kopf schief.
" Ich weiß nicht... Verhandlungen, die weder Kopf noch Schwanz..." "Man muß zeigen, daß wir zu allem entschlossen sind. " Fusa-tjan verriet ihre Ungeduld und jede dachte wie sie. "Kommt der Bericht der Streikleitung wieder erst nach elf Uhr?" fragte ein Mädchen mit einer Momoware-Frisur (Anm.: Momoware und Itjogaeschi sind Haartrachten, wie sie bei den Töchtern bürgerlicher Familien üblich sind; etwa: sehr ordentlich frisiert.), die an der Papiertür saß. Sie hieß Ogin-tjan und war Helferin in der Schriftsetzerabteilung. Alle Vorschläge waren erledigt. Für das Wichtigste, den Bericht über die Streiklage, sollte wie immer ein Mitglied der höchsten Streikleitung kommen.
" Vorsitzende, ich wünsche eine Pause", riefen einige ermüdete Stimmen von der anderen Seite. Aber die ewige Jungfrau schwieg feierlich, sie wollte keine Pause beschließen lassen. Sie wälzte Pläne, wobei sie ein Mädchen, das eine Itjogaeschi-Frisur trug, scharf ansah. Das Mädchen verbarg sich in einem roten Wollschal und war leicht eingenickt. Sie lehnte an einer Papiertür, auf der etwas wie ein Tempelbild hing.
Die Vorsitzende sagte hinterhältig - "unerhört, ein Straßenmädchen als Funktionärin!" -
Sie warf einen Blick voll schärfster Verachtung auf das blasse Profil mit der Itjogaeschi-Frisur.
" Natürlich ist sie schläfrig, sie will noch auf dem Rückweg im Cafe Geld verdienen..."
" Vorsitzende, einen Dringlichkeitsantrag", schrie Matsu-tjan. Alle fuhren auf und richteten ihre Blicke auf die Sprecherin. Takae staunte gleichfalls - was war denn da los? Die Vorsitzende schaufelte mit ihrem Kinn, als wenn sie darauf gewartet hätte. "Mein Antrag lautet: Ich möchte zur Kenntnis bringen, daß sich ein Mitglied der Frauenabteilung so beträgt, daß die Ehre des Streiks gefährdet wird. "
Die Versammelten sahen einander an. "Das ist ja interessant", flüsterte Fusa-tjan.
" Ich erkläre, hier ist ein Mädel im Zimmer, das die weibliche Ehre als Lockmittel braucht, um damit Geld zu verdienen. Das ist das Schamloseste, was eine Frau tun kann. Ich hoffe, daß sie das einsieht und uns sofort verläßt. Ich will deshalb auch noch keinen Namen nennen. Es genügt wohl, wenn ich ihre Handlungsweise, die das Ansehen des Streiks gefährdet, anprangere. Wenn sie aber nicht von allein verschwindet, werde ich ihren Namen doch..."
" Einen Moment"
Die Vorsitzende hob die Hand. Die rothaarige Matsu-ijan sah selbstgefällig in die Brille der Vorsitzenden, ob sie auch ihren Auftrag gut
durchgeführt hätte.
" Schon gut, schon gut, Begründung genügt."
Die Vorsitzende winkte Matsu-tjan, sich zu setzen, sie hatte die ganze Sache längst begriffen. Aber die andern konnten die Handlung der Vorsitzenden nicht verstehen, die gegen alle Gepflogenheiten verstieß. Eines verstanden sie aber - Kimi-tjan, ein bleiches Mädchen aus der Buchbinderabteilung, das immer eine gepflegte Itjogaeschi-Frisur trug, war noch blasser geworden und hatte ihren Kopf sinken lassen. Takae war erstaunt, sie kannte Okimi recht gut. Es war möglich, daß diese Vorwürfe auf Wahrheit beruhten, aber wozu mußte man diese Dinge zur Sprache bringen? Man konnte gewiß nicht sagen, daß die Kleine sehr kampftüchtig war, aber sie erledigte ihre Aufgaben sehr gewissenhaft; warum mußte man dieses kleine schüchterne Mädel jetzt anklagen, sie hatte ganz allein eine fünfköpfige Familie zu ernähren, ihre gute Frisur und ihr ungesundes, blasses Aussehen kamen nicht aus ihrem eigenen Willen - diese Bande hat das unglaublich angefangen. Takae war heute außergewöhnlich zurückhaltend, weil sie immer an Okayo denken mußte, aber jetzt fühlte sie, wie eine heiße Wut in ihr
aufstieg.
" Ich bitte die Antragstellerin, ihren Antrag zurückzuziehen, da das für das Mädchen eine Lebensfrage ist. Ich schlage vor, daß sie sich mit mir persönlich darüber aussprechen soll." Die ewige Jungfrau lachte der Rothaarigen vielsagend zu. "Teufel, die Bande macht Theater", dachte Takae. Die Rothaarige bestand hartnäckig auf ihrem Antrag. Alle Blicke wanderten von den kleinen Walfischaugen Matsu-tjans zu Takae, von da zur Vorsitzenden und endlich zu Okimi, die hilflos an der Tür saß; als wenn sie sich unsichtbar machen wollte.
" Warte mal, Genossin Shirajama (das war der Familienname der Rothaarigen), wenn du deinen Vorschlag nicht zurückziehen willst, will ich vorher meine Meinung sagen", sagte die Vorsitzende und Matsu-tjan setzte sich. Fusa-tjan stieß an Takaes Knie. "Die Bande will die kleine Kimi-tjan quälen... pfui Teufel!" Fusa-tjan war, wie Takae und Okimi aus der Buchbinderei. "Genossin Shirajama erklärt, ihren Antrag nicht zurückziehen zu wollen. Das ist furchtbar hart für die Betroffene... Wenn die Betreffende wirklich hier im Zimmer ist, wird sie natürlich von allein gehen, deshalb habe ich gefordert, daß dieser Antrag zurückgezogen wird. " Die randlose Brille schoß ihre Blitze auf das Profil der Okimi. Sie triumphierte, daß es ihrem Keuschheitsfanatismus gelungen war, eine Genossin aus diesem Kreis auszuschließen.
" Ich möchte zu dieser Angelegenheit noch sagen, daß die werktätigen Frauen ganz allgemein das Prinzip der Keuschheit viel zu wenig beachten. Wir sind in der Fabrik, und gerade in solchen ungewöhlichen Zeiten wie jetzt, von den Männern verachtet wie die Dirnen, und nur deshalb, weil wir zu wenig auf unsere Ehre halten." Die ewige Jungfrau war in der Tat noch unberührt, aber das hatte wohl seine besonderen Gründe.
" Vorsitzende!" schrie Fusa-tjan, die sich nicht mehr halten konnte, und gleichzeitig erscholl von allen Seiten lärmender Einspruch. Aber die Vorsitzende bestand hartnäckig auf diesem Antrag. "Die Keuschheit gehört zum Wesen der Frau, und ich kann absolut nicht verstehen, wie eine Frau ihr höchstes Gut so verhökern kann und wie ein altes Taschentuch fortwerfen..."
Die ewige Jungfrau redete sich fast von Atem. Während jene "Damen", die mit der Vorsitzenden sympathisierten, schweigend zuhörten, gab die Gruppe um Fusa-tjan und Ogin-tjan laut ihrer Empörung Ausdruck. "Vorsitzende, du bis halstarrig. " "Vorsitzende, hör auf mit deiner Litanei!"
Takae schrie jetzt auch. Das ganze Zimmer tobte, und die Predigt der Vorsitzenden war nicht mehr zu hören. "Vorsitzende, eine Frage", schob Takae sich vor. Fusa-tjan sprang zu Okimi und sagte: "Keine Sorge, wir halten zu dir!" Am Tisch schrie Takae aufgebracht:
'Ich habe eine Frage an die Genossin Shirajama, die den Antrag gestellt hat. Wen willst du anklagen, wer hat dich verkauft?" Sie sah die Rothaarige durchdringend an und schüttelte erregt ihr festgebundenes Haar. Matsu-tjan zögerte verlegen.
" Nun los, wenn du jemand anklagst, mußt du stichhaltige Gründe dafür haben."
Takae drängte sich an Matsu-tjan heran. Die Vorsitzende schlug auf den Tisch und schrie gellend, um ihrem Günstling zu helfen: "Ich bitte um Ruhe!"
" Natürlich kann ich es sagen, es ist Kimi-tjan von deiner Abteilung." "Was, Kimi-tjan, das ist ja interessant. Dann heraus mit deinen Beweisen!"
Takae näherte ihr Gesicht der Rothaarigen. "Quatsch, was soll ich da lange beweisen." Sie wollte kneifen. " Dummes Weibsstück!"
Takaes Hand fuhr in die roten Haare. Alle sprangen auf; die in der Nähe der beiden Frauen standen, bemühten sich, Takae zurückzuhalten.
" Nobu-tjan!"
Takae drehte sich um und sprang zum Platz der Vorsitzenden, die angeblich eine höhere Schule besucht haben sollte, und sah ihr fest in die Augen. Die Vorsitzende erschrak, denn Takae war die einzige, die ihr an Schlagfertigkeit gewachsen war, und ihrem drohenden Gesicht nach war alles von ihr zu erwarten. "Nobu-tjan, du willst hier mit dieser Rothaarigen eine abgekartete
Komödie aufführen?"
Um Takae sammelten sich Fusa-tjan, Ogin-tjan und andere, die zu der Gruppe der Vorsitzenden in Opposition standen; auch um diese, Fräulein Oja, sammelten sich ihre Schützlinge, die "Damengruppe", und im Augenblick war im Zimmer ein aufgeregtes Durcheinander.
" Eine abgekartete Komödie? Ich tue nur, was ich als Leiterin der
Frauenabteilung tun muß."
Die Vorsitzende gab sich Mühe, beherrscht zu bleiben, um als Ältere
Takae ihre Überlegenheit fühlen zu lassen.
" Du lügst, dein Gesicht verrät genau, was du vorhast!"
Takae wurde in ihren Worten immer gleich scharf und ausfallend,
weshalb die "Damen" sie "Führerin der Fürsorgemädchen" nannten.
" Versteh gefälligst, ich habe als Frauenleiterin die Verantwortung
und muß auch die Moral der Mitglieder überwachen. Wie kannst du als
Funktionärin der Frauen so wild sein wie ein Mann, das ist schamlos."
" Sie hat recht!"
" Fürsorgegöre!"
" Mannstolles Weibstück!" riefen die "Damen" durcheinander.
Takae kam wieder an den Tisch und überschrie den Lärm: "Genossinnen,
ich bin gegen dieses Gerede von Keuschheit, mit dem sie nur unsere
Genossin herausbringen will."
" Jawohl, sehr richtig!" schrien Fusa-tjan und ihre Anhängerinnen, und
eine von ihnen rief höhnisch:
" Alte Jungfer!"
" Die Vorsitzende will mit ihrem bourgeoisen Keuschheitsgeschwätz unsere Genossin Kimi-tjan rausdrängeln!"
Der Lärm wuchs wieder an, die Vorsitzende trommelte auf den Tisch und schrie mit ihrer meckernden Stimme:
" Das ist eine scheußliche Lüge, was die Genossin Takae Haruki sagt, hat gar keinen Sinn und Verstand. Sag' gefälligst, warum ich bürgerlich sein soll, warum?" Die ewige Jungfrau bog ihr rot angelaufenes Gesicht über den Tisch
vor, ihre Lippen zitterten hysterisch.
" Natürlich bist du eine Spießbürgerin. Soll ich erst den Grund sagen? Dein ganzes Keuschheitsgerede hat weiter keinen Zweck, als den sexuellen Akt möglichst teuer an den Mann zu verkaufen. Ihr sagt, ich bin eine Jungfrau oder eine Dame, weil ihr euch lieber leichter und teurer an einen Angestellten anstatt an einen Arbeiter verkaufen wollt. Das ist deine Keuschheitstheorie, und das ist praktisch nichts anderes als die bürgerliche Ansicht über diese Dinge." Takaes Antwort traf den Nagel auf den Kopf.
" Seht euch mal unsere Damen an!" kreischte Ogin-tjan begeistert. Das löste allgemeine Heiterkeit aus. Die Vorsitzende stand wie mit Wasser begossen und zitterte unter diesem Lachen. "Also meinst du, es sei ganz in Ordnung, sich zu prostituieren?" versuchte die Jungfrau die ganze Diskussion zu verdrehen. "Ob das gut ist oder nicht gut ist, weiß ich nicht, darauf kommt es hier auch gar nicht an. Aber eins ist klar, wenn sich eine prostituiert, damit sie als Genossin hier bei uns mitarbeiten und dabei noch eine fünfköpfige Familie ernähren kann, so ist das weit ehrlicher und richtiger als die ganze geheiligte eheliche Liebe von euch." "Scheußlich!" "Das soll man anhören!"
" Sie verdient wahrhaftig, daß sie Anführerin der Fürsorgemädel genannt wird!" riefen die Damen dazwischen.
" Aha, also behauptest du doch, daß die Prostitution berechtigt ist. " Die Vorsitzende wollte Takae verächtlich machen und den Sinn ihrer Worte verdrehen, um sich ihren Sieg zu sichern, aber Takae ließ nicht locker.
" Natürlich habe ich recht. Es ist viel sauberer und macht viel weniger Gestank, wenn man die ganze sogenannte Ehre einfach wie ein altes Taschentuch wegwirft, als daß man als ewige Jungfrau im Glassahrank stehen bleibt wie eine faule, alte Konserve!"
Das Gesicht von Fräulein Oja, verzerrte sich, ihre Lippen zitterten hysterisch, die wandte sich um, schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. Der Lärm im Zimmer war nicht mehr zu beruhigen, die "Damen" brüllten vergebens aus vollem Halse, es war umsonst: die Opposition hatte gewonnen.
" Sei tapfer, brauchst nicht mehr zu weinen, Kopf hoch, wir haben gewonnen, wir stehen zu dir." Takae umarmte Kimi-tjan und ließ sie aufstehn: "Kimi-tjan, jetzt rede du zu diesen 'Damen' und erkläre ihnen, daß die Frauen der Arbeiterklasse nicht nur ihre weibliche Ehre, sondern ihr ganzes Leben opfern müssen, bis wir mit dem ganzen Proletariat befreit sein werden, - sag ihnen das!"

 

IV. Das Opfer

Es war beinahe 11 Uhr, als sie nach dem Bericht der Streikleitung nach Hause gingen.
Den Bericht hatte Matsuo, der junge Sekretär der obersten Streikleitung, überbracht, weil fast alle anderen Führer noch in Haft waren. Wir erleben beim Streik der Daido-Druckerei die frechsten Provokationen der Unternehmer gegen die Arbeiter. Wir Druckereiarbeiter ganz Tokios warnen die Unternehmer und verlangen, daß die berechtigten Forderungen dieses Streiks bedingungslos bewilligt werden.
Generalversammlung der Druckereiarbeiter von ganz Tokio "Diese Resolution ist von der heutigen Generalversammlung der Buchdrucker in den Matsumoto-Festsälen einstimmig angenommen und sofort durch die Vertreter den Unternehmern zugestellt worden", referierte der frische Genosse der Frauenversammlung. "Unsere Verhandlungen mit den Unternehmern sind wegen der brutalen Angriffe durch die Polizei eingestellt. Aber wir müssen bereit sein. Dieser Streik ist kein gewöhnlicher Streik wie die bisherigen, es ist ein entscheidender Kampf um unsere Organisation - so liegen die Dinge." Neue Kraft strömte von dem jungen, schlanken, knochigen Mann wie ein frischer Wind auf die Körper der ermüdeten Frauen. Er verschwand eilig und geschäftig, denn noch viele andere Versammlungen der einzelnen Abteilungen warteten auf ihn.
Mit der sinkenden Nacht legte sich die Aufregung der Frauen wieder, und die beiden streitenden Gruppen reichten sich schließlich angesichts des großen gemeinsamen Kampfes die Hand.
" Sei nur ruhig, Kimi-tjan, wenn es nötig wird, werde ich es auch so machen wie du - was denn sonst? Um denen die Kehle zuzudrücken, müssen wir sogar unser Leben opfern", sagte Takae zu Okimi und Fusa-tjan, als sie gemeinsam nach Hause gingen. Die temperamentvolle Fusa-tjan hörte das schweigend an, und Okimi wurde wieder fröhlich.
" Danke, ich verstehe schon - ich bin bereit, und morgen werde ich wieder fleißig meine Seife verkaufen."
Okimi steckte ihr Gesicht aus dem Wollschal und lachte. An der Ecke der dritten Barackenreihe verabschiedete sich Takae von ihren Kolleginnen und ging ihrem Hause zu, wo Okayo auf sie wartete, um mit ihr ins Badehaus zu gehen. Auf dem Wege erzählte Takae von dem was bei der heutigen Frauenversammlung vorgefallen war, dem Bericht der Streikleitung und dem übrigen. Okayo war so andächtig bei der Sache, daß sie unversehens an ein Reklameschild stieß. Es schien, als klammere sie sich an die kleinste Tatsache, um ihre Ängste und all ihre Sorgen zu überwinden, deshalb griff sie auch alles so begierig auf.
Schwester, mir ist so... ich fühle... ich werde Miatji bestimmt nicht wiedersehen... mir ist so... über mir..."
Takae erschrak, wie tapfer ihre kleine Schwester gegen alles, was sie quälte, ankämpfte. Ihre Vermutung, Miatji sei der Brandstifter im Hause Okawas wurde zur Gewißheit. "Aber... es ist gar nicht so schlimm für mich... " Vor Mitleid mit dieser Ergebenheit eines Kindes wie Okayo wäre Takae am liebsten der Schwester um den Hals gefallen.
" Hast du heute die Zeitung "Nichi Nichi" gelesen, Schwester? Da stand was von einem Arbeiter, der sich von seiner Frau getrennt hat, um so besser für den Streik arbeiten zu können, weil sich die Streiklage bei den Daido-Druckern so verschärft hat, - wer kann das sein?" Takae wußte es nicht, aber bestimmt war unter den vielen Streikenden so etwas möglich. Nein, sicher viel häufiger als in der Zeitung stand. "Kimi-tjan tut mir wirklich leid... ihr kleiner Bruder ist blind, hast du das nicht gewußt?"
Okayo arbeitete in derselben Abteilung neben Okimi. Okimi war wohl zwei oder drei Jahre älter, aber noch genau so schüchtern wie Takaes Schwester. Am Himmel blinzelten Sterne, und die Sichel des zunehmenden Mondes stand einsam wie vom Wind blank geweht über dem Haksuan-Wald. In der öffentlichen Badeanstalt drängten sich die Menschen, besonders in der Frauenabteilung schrien die Säuglinge und Kinder im dichten Dampf. Okayo wusch Takae den Rücken, dann nahm Takae den Kübel mit heißem Wasser und bearbeitete Okayos Rückseite. "Schwester, aber warum bekommt denn Kimi-tjan kein Kind?" fragte Okayo, sich leicht herumwendend. Wie kindlich war sie, und sie hatte doch schon einen Freund!
" Ja... man macht das natürlich so, daß man keine Kinder bekommt", antwortete die Schwester lächelnd.
Die Junge schwieg nachdenklich. Mit dem ausgedrückten Waschlappen rieb Takae derb der Schwester den Rücken, der schon weiblicher geworden war. Sie hatte bereits Fleisch angesetzt. "O weh, was tust du denn?" rief Okayo verwundert und sah, sich umwendend, in das vergnügt lachende Gesicht der Schwester. "Weil du immer an ihn denkst, ich wollte dich bloß wecken. " Ihr Lachen war froh und stark, aber die kleine Okayo, die mit in das Lachen einstimmte, lachte nur kraftlos und matt.
" Los wir wollen uns noch etwas in der Wanne wärmen, dann gehen wir. " In dem schon trüb gewordenen Wasser des Bassins sank Takae bis an den Hals ein und atmete tief, als wollte sie alle Müdigkeit von sich fortblasen. Sie sah im Bassin viele bekannte Gesichter, war aber viel zu müde, um ihre Grüße zu erwidern. Okayo kam auch ins Wasser, nachdem sie ihren Seifenkasten gewaschen hatte - in diesem Augenblick bemerkte Takae mit dem Scharfsinn der Frau eine neue Wölbung am Körper der Schwester. Diese Entdeckung drückte sie nieder und machte sie verschlossen und zurückhaltend. "Sie ist schwanger..."
Als sie nach einer Weile im stürmischen kalten Nachtwind heimgingen, bedrückte sie schwere Angst, sie konnte die trüben Bilder, die vor ihr auftauchten, nicht verjagen...
" Ich muß sie selber fragen und ihr einen Rat geben." Es war nur natürlich, daß sie ihrer Schwester mit Rat und Tat helfen wollte, aber sie wußte nicht, wie sie es anfangen sollte, weil Okayo ihr noch nichts darüber gesagt hatte. Es war schon Mitternacht.
Takae legte sich gleich auf ihre armselige Wattedecke neben den alten Vater und wollte wie gewöhnlich noch in einem geborgten Buch blättern, aber es war ihr heute unmöglich, der Schrift aufmerksam zu folgen, zu viele Sachen gingen ihr durch den Kopf.
Sie hörte noch eine Weile auf die kleinen leisen Geräusche Okayos in der Küche, dann schlief sie, müde von den Anstrengungen des Tages
ein.
Spät in der Nacht wachte Takae aus dem Durcheinander der Träume auf.
Sie hörte ganz deutlich ein Geräusch, wie wenn dünne Bambusrohre aneinandergeschlagen wurden... Es war noch lange bis zur Dämmerung.
" Was kann das sein?"
Erschrocken sah sie auf das Bett der Schwester neben sich, aber das war leer. Sie setzte sich auf, auch im Zimmer war Okayo nicht. Das Lager war schon kalt, sie war also schon länger fort. Takae wollte schon den Vater wecken, als sie vor dem Fenster ein Geräusch hörte. In Erinnerung an die gestrigen Ereignisse ergriff sie Angst. Vor dem Fenster floß der Senkawa-Kanal, zwischen den leisen Geräuschen der Nacht hörte sie Menschenstimmen - das war bestimmt auf der Brücke. Sie stand ganz leise auf und trat an die Tür, die sich geräuschlos öffnete, sie war nicht eingeklinkt. Gleich um die Ecke des Hauses war die Brücke, dort sah sie zwei Schatten im Mondlicht. Okayo - der andere Schatten war bestimmt Miatji... aber warum kam er hierher und warum
so spät...?
Sie zog sich unter das Dach des Hauses zurück und schloß den Kragen
des dünnen Nachtkleides.
" Wie unvorsichtig, bei so strenger Polizeikontrolle hierher zu kommen - und dann noch auf diese Brücke, wo er so leicht gesehen werden kann. Aber die beiden standen wie angefroren Hand in Hand an das Geländer gelehnt: sie sah das weiße Nachtkleid und den roten Gürtel Okayos, eingehüllt in den bekannten braunen Mantel Miatjis. Sie wartete fünf oder zehn Minuten, aber sie wollten sich nicht trennen, es sah aus, als weinte Okayo an Miatjis Brust. In der Ferne hörte man die Holzklapper der Nachtwächter. Der Mond kam über den Haksuanwald und lief zum Wald des Seminars.
In Takae stieg die Angst hoch. Natürlich konnte sie verstehen, daß er trotz aller Gefahren hierher kam. Aber es war doch zu gefährlich, auf der Brücke zu stehen.
" Oder will er sich selbst der Polizei stellen?"
Wenn die Polizei ihn jetzt entdeckte, würde Okayo mit ihm fortgeschleppt werden, - das durfte nicht sein, der schwache Körper konnte die Haft nicht ertragen.
Sie haben beide den Verstand verloren - sie raffte sich auf und trat vor das Haus. Aber als sie die beiden Gestalten auf der Brücke sah, schloß sie die Augen. Das auf der Brücke war jetzt eine Welt für sich. "Ach, Quatsch," flüsterte sie vor sich hin und ärgerte sich über sich selbst, daß sie hier als komische Figur herumstand. Dann ging sie wieder ins Haus.
" Bin ich etwa neidisch?"
Sie schlich behutsam auf ihr Lager, um den Vater nicht zu wecken. Aber ihr Kopf beruhigte sich nicht.
Miatjis fest geschlossene Lippen, die breite Stirn, sein männliches Gesicht standen ihr stets vor Augen, obwohl sie nie vergaß, daß er der Freund ihrer Schwester war.
Takae sah das Gesicht Fusa-tjans, die sie auslachte: "Sowas müßte verboten sein."
Der Wecker zeigte bereits halb vier, sie wälzte sich auf ihrem Lager und konnte ein Gefühl der Bangigkeit nicht los werden. In diesem Augenblick hörte sie leise Tritte, die über die Brücke und um das Haus gingen und vor der Tür hielten. Die Tür wurde geöffnet und Okaya trat zuerst herein, weckte die Schwester und sagte: "Einen Augenblick, Schwester, ich habe eine Bitte. "
Takae stand auf und tat, als ob sie jetzt erst wach werde. Okayo zeigte schweigend auf die Tür.
Da stand Miatji.
Takae zog einen Kimono über die Schultern und ging zu ihm.
" Komm herein. "
Dann ließ sie Okayo die Tür schließen und Feuer machen.
Schon als Okavo hereinkam war der Vater aufgewacht und sah den unbekannten blassen Mann unsicher an.
Vater. " Takae beugte sich zu ihm und flüsterte mit ihm. Er gab ein Zeichen des Einverständnisses, aber er legte den Kopf wieder auf die Kissen.
Na, was hast du?"
Takae ging zu Miatji, der, wie es sich gehörte, am offenen Feuer saß.
Er entgegnete leise:
" Ach, es ist nicht geglückt. Du hast wohl in der Zeitung davon gelesen?" Er lächelte traurig, auf seinen Backen lagen die scharfen Schatten der Müdigkeit und des Gehetztseins.
" Umsonst".
Takae sah dem Mann ins Gesicht. Sie schwiegen lange. Aber sie verstanden sich besser, als wenn sie viele Worte gesprochen hätten. Da kam Okayo mit frischer Glut für den Ofen. Ihre vom Weinen geschwollenen Augen blinzelten vom Lampenlicht geblendet. Miatji schob seine Socken herunter, nahm einen zusammengefalteten Zettel heraus und drückte ihn Takae in die Hand.
" Gib das Hagimura oder Nakai, es ist ein Bericht von einem Mann der wichtige Aufgaben bearbeitet. Gib es ihnen bestimmt." Miatji hatte unbedingtes Vertrauen zu Takae.
Sie willigte schweigend ein. Dann sagte Miatji einfach, ohne Zusammenhang:
" Ich werde mich morgen der Polizei stellen." Takae erschrak, aber Miatji fuhr ruhig fort:
" Ich finde es in der augenblicklichen Lage am besten. Das war von Anfang an so beabsichtigt, und jetzt gerade gibt es keinen anderen Weg, um die verhaftete Streikleitung freizukriegen." Er war entschlossen. Takae konnte kein Wort sagen.
Draußen auf der Straße ging die Nachtwache mit der Holzklapper vorbei, dazwischen hörte man das Klirren der Säbel und den Tritt schwerer
Stiefel.
" Jetzt gehen immer Polizei und Nachtwache zusammen."
" Miatji, willst du nicht hier schlafen?"
Als ihn Okayo so fragte, drehte er sich dem Lager der beiden Mädchen
zu und lächelte leise.
" Miatji ist ein tapferer Kerl, aber jetzt kann er doch nicht schlafen, wir
wollen lieber warmen Reis für ihn kochen."
Die beiden Schwestern gingen in die Küche und bereiteten den Reis. Der Mann, der zwei Tage und zwei Nächte lang dem Netz der Polizei entronnen war, folgte mit den Augen den Bewegungen der Mädchen, und
seine Lider wurden heiß.
Okayo bediente ihn, er nahm die Stäbchen, seine schmal gewordenen
Lippen verzogen sich wehmütig:
" Warm."
Der Dampf aus der Reisschüssel hüllte die beiden Gesichter ein, legte sich auf die Lider des Mannes, und Okavos Augen füllten sich mit Tränen.
Abschied auf wieviele Jahre... Takae ging hinaus und ließ die beiden allein.
Die kalte Morgenluft wurde schon heller. Takae sah den Himmel. Sie hatte ein heißes Schlucken in der Kehle. Dann hörte sie, daß Miatji hinter der Tür seine Schuhe anzog.
" Bleib gesund und kräftig", sagte die zitternde Stimme der Schwester.
Der Mann sagte nichts.
" Mach auf, Takae. "
Miatji stieß von innen gegen die Tür, sie ließ die Klinke los. Miatji kam heraus und drückte ihre Hand.
" Ich gehe jetzt, vergiß den Bericht nicht."
Der junge Kommunist drehte sich um und ging eilig fort.
" Schon gut, schon gut, weine nicht."
Während sie Miatji, der sich scharf in der hellen Dämmerung abhob und schnell davonlief, mit den Augen folgte, streichelte sie die Haare der weinenden Schwester wie in den Tagen ihrer Kindheit....
" Weine nicht. Weine nicht."


Дата добавления: 2018-02-15; просмотров: 812; Мы поможем в написании вашей работы!

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