Verwandlung in beliebige Tiere und Pflanzen 9 страница



Wäre jetzt der Hausherr eingetreten, so wäre es mir vielleicht geglückt, unter annehmbaren Vorwänden meinen Rückzug auszuführen. Es kam jedoch seine Frau herein, und ich ergab mich ins Geschick, obwohl ich Unheil ahnte. Wir begrüßten uns, und dem ersten Mißklang folgten lauter neue. Die Frau beglückwünschte mich zu meinem guten Aussehen, während mir nur allzu bewußt war, wie sehr ich in den Jahren seit unsrer letzten Begegnung gealtert war; schon bei ihrem Händedruck hatte der Schmerz in den Gichtfingern mich fatal daran erinnert. Ja, und dann fragte sie, wie es denn meiner lieben Frau gehe, und ich mußte ihr sagen, daß meine Frau mich verlassen habe und unsre Ehe geschieden sei. Wir waren froh, als der Professor eintrat. Auch er begrüßte mich herzlich, und die Schiefheit und Komik der Situation fand alsbald den denkbar hübschesten Ausdruck. Er hielt eine Zeitung in Händen, das Blatt, auf das er abonniert war, eine Zeitung der Militaristen- und Kriegshetzepartei, und nachdem er mir die Hand gegeben hatte, deutete er auf das Blatt und erzählte, darin stehe etwas über einen Namensvetter von mir, einen Publizisten Haller, der ein übler Kerl und vaterlandsloser Geselle sein müsse, er habe sich über den Kaiser lustig gemacht und sich zu der Ansicht bekannt, daß sein Vaterland am Entstehen des Krieges um nichts minder schuldig sei als die feindlichen Länder. Was das für ein Kerl sein müsse! Na, hier kriege der Bursche es gesagt, die Redaktion habe diesen Schädling recht schneidig erledigt und an den Pranger gestellt. Wir gingen jedoch zu anderem über, als er sah, daß dies Thema mich nicht interessierte, und die beiden dachten wirklich nicht von ferne an die Möglichkeit, daß jenes Scheusal vor ihnen sitzen könne, und doch war es so, das Scheusal war ich selbst. Na, wozu Lärm machen und die Leute beunruhigen! Ich lachte in mich hinein, gab aber jetzt die Hoffnung verloren, an diesem Abend noch etwas Angenehmes zu erleben. Ich habe den Augenblick deutlich in Erinnerung. In diesem Augenblick nämlich, während der Professor vom Vaterlandsverräter Haller sprach, verdichtete sich in mir das schlimme Gefühl von Depression und Verzweiflung, das sich seit der Begräbnisszene in mir angehäuft und immer verstärkt hatte, zu einem wüsten Druck, zu einer körperlich (im Unterleib) fühlbaren Not, einem würgend angstvollen Schicksalsgefühl. Es lag etwas gegen mich auf der Lauer, fühlte ich, es beschlich mich von hinten eine Gefahr. Zum Glück kam jetzt die Meldung, daß das Essen bereitstehe. Wir gingen ins Speisezimmer, und während ich mich bemühte, immer wieder irgend etwas ganz Harmloses zu sagen oder zu fragen, aß ich mehr, als ich gewohnt war, und fühlte mich von Augenblick zu Augenblick jämmerlicher. Mein Gott, dachte ich beständig, warum strengen wir uns denn so an? Deutlich fühlte ich, daß auch meine Gastgeber sich gar nicht wohl fühlten und daß ihre Munterkeit ihnen Mühe machte, sei es nun, daß ich so lähmend wirkte, sei es, daß sonst eine Verstimmung im Hause war. Sie fragten mich nach lauter Dingen, auf welche eine aufrichtige Antwort nicht zu geben war, bald hatte ich mich richtig festgelogen und kämpfte mit dem Ekel bei jedem Wort. Schließlich begann ich, um abzulenken, von dem Begräbnis zu erzählen, dessen Zuschauer ich heute gewesen war. Aber ich traf den Ton nicht, meine Anläufe zum Humor wirkten verstimmend, wir kamen mehr und mehr auseinander, in mir lachte der Steppenwolf mit grinsendem Gebiß, und beim Nachtisch waren wir alle drei recht schweigsam.

Wir kehrten in jenes erste Zimmer zurück, um Kaffee und Schnaps zu trinken, vielleicht würde uns das ein wenig aufhelfen. Aber da fiel der Dichterfürst mir wieder ins Auge, obwohl er beiseite auf eine Kommode gestellt worden war. Ich kam nicht los von ihm, und nicht ohne warnende Stimmen in mir zu vernehmen, nahm ich ihn wieder in die Hand und begann mich mit ihm auseinanderzusetzen. Ich war wie besessen von dem Gefühl, daß die Situation unerträglich sei, daß es mir jetzt gelingen müsse, meine Wirte entweder zu erwärmen, mitzureißen und auf meinen Ton zu stimmen oder aber vollends eine Explosion herbeizuführen.

„Hoffen wir", sagte ich, „daß Goethe nicht wirklich so ausgesehen hat! Diese Eitelkeit und edle Pose, diese mit den verehrten Anwesenden liebäugelnde Würde und unter der männlichen Oberfläche diese Welt von holdester Sentimentalität! Man kann ja gewiß viel gegen ihn haben, auch ich habe oft viel gegen den alten Wichtigtuer, aber ihn so darzustellen, nein, das geht doch zu weit."

Die Hausfrau schenkte den Kaffe vollends ein, mit einem tief leidenden Gesicht, dann eilte sie aus dem Zimmer, und ihr Mann eröffnete mir, halb verlegen, halb vorwurfsvoll, dies Goethebild gehöre seiner Frau und werde von ihr ganz besonders geliebt. „Und selbst wenn Sie objektiv recht hatten, was ich übrigens bestreite, durften Sie sich doch nicht so kraß ausdrücken."

„Da haben Sie recht" gab ich zu. „Es ist leider eine Gewohnheit, ein Laster von mir, mich immer für den möglichst krassen Ausdruck zu entscheiden, was übrigens Goethe in seinen guten Stunden auch getan hat. Dieser süße spießige Salongoethe freilich hätte nie einen krassen, einen echten, unmittelbaren Ausdruck gebraucht. Ich bitte Sie und Ihre Frau sehr um Entschuldigung – sagen Sie ihr bitte, daß ich Schizophrene bin. Und zugleich bitte ich um Erlaubnis, mich empfehlen zu dürfen.

Der betretene Herr erhob zwar noch einige Einwände, kam auch wieder darauf zu sprechen, wie schön und anregend unsre einstigen Unterredungen gewesen seien, ja, daß meine Vermutungen über Mithras und Krischna ihm damals tiefen Eindruck gemacht hätten und daß er gehofft habe, auch heute wieder... und so weiter. Ich dankte ihm und sagte, daß dies sehr freundliche Worte seien, daß aber leider mein Interesse für Krischna ebenso wie meine Lust zu wissenschaftlichen Gesprächen ganz und gar geschwunden sei, daß ich ihn heute mehrmals angelogen habe, so sei ich zum Beispiel nicht seit einigen Tagen hier in der Stadt, sondern seit vielen Monaten, lebe aber für mich allein und sei nicht mehr für den Verkehr in besseren Häusern geeignet, denn erstens sei ich stets sehr schlechter Laune und mit Gicht behaftet und zweitens meistens betrunken. Ferner, um reinen Tisch zu schaffen und wenigstens nicht als Lügner wegzugehen, müsse ich dem verehrten Herrn erklären, daß er mich heute recht sehr beleidigt habe. Er habe sich jene dumme, stiernackige, eines beschäftigungslosen Offiziers, nicht aber eines Gelehrten würdige Stellung eines reaktionären Blattes zu Hallers Meinungen zu eigen gemacht. Dieser „Bursche" und vaterlandslose Geselle Haller aber sei ich selber, und es stünde besser um unser Land und um die Welt, wenn wenigstens die paar denkfähigen Menschen sich zur Vernunft und Friedensliebe bekennten, statt blind und besessen auf einen neuen Krieg loszusteuern. So, und damit Gott befohlen.

Und so erhob ich mich, nahm Abschied von Goethe und dem Professor, riß draußen meine Sachen vom Kleiderhaken und lief davon. Laut heulte in meiner Seele der schadenfrohe Wolf, ein gewaltiges Theater fand zwischen den beiden Harrys statt. Denn, das war mir sofort klar, diese unerquickliche Abendstunde hatte für mich viel mehr Bedeutung als für den indignierten Professor; für ihn war sie eine

 

Enttäuschung und ein kleines Ärgernis, für mich aber war sie ein letztes Mißlingen und Davonlaufen, war mein Abschied von der bürgerlichen, der moralischen, der gelehrten Welt, war ein vollkommener Sieg des Steppenwolfes. Und es war ein Abschiednehmen als Flüchtling und Besiegter, eine (Bankrotterklärung vor mir selber, ein Abschied ohne Trost, ohne Humor. Ich hatte von meiner ehemaligen Welt und Heimat, von Bürgerlichkeit, Sitte, Gelehrsamkeit nicht anders Abschied genommen als der Mann mit dem Magengeschwür vom Schweinebraten.

 

4)Wütend lief ich unter den Laternen hin, wütend und todestraurig. Was war das für ein trostloser, beschämender, böser Tag gewesen, vom Morgen bis zum Abend, vom Friedhof bis zur Szene beim Professor! Wozu? Warum? Hatte es einen Sinn, noch mehr solche Tage auf sich zu laden, noch mehr solche Suppen auszufressen? Nein! Und so würde ich denn heut nacht der Komödie ein Ende machen. Geh heim, Harry, und schneide dir die Kehle durch! Lang genug hast du damit gewartet.

Hin und her lief ich durch die Straßen, vom Elend geritten. Natürlich war es dumm von mir gewesen, den guten Leuten ihren Salonschmuck zu bespucken, es war dumm und unartig, aber ich konnte und konnte nun einmal nicht anders, ich konnte dies zahme, verlogene, artige Leben nicht mehr ertragen. Und da ich, wie es schien, auch die Einsamkeit nicht mehr ertragen konnte, da auch meine eigene Gesellschaft mir so unsäglich verhaßt und zum Ekel geworden war, da ich im luftleeren Raum meiner Hölle erstickend um mich schlug, was gab es da noch für einen Ausweg? Es gab keinen. O Vater und Mutter, o ferne heilige Feuer meiner Jugend, o ihr tausend Freuden, Arbeiten und Ziele meines Lebens! Nichts von allem war mir geblieben, nicht einmal Reue, nur Ekel und Schmerz. Nie, so schien mir, hatte das bloße Lebenmüssen so weg getan wie in dieser Stunde.

In einer trostlosen Vorstadtkneipe ruhte ich einen Augenblick aus, trank Wasser und Kognak, lief wieder weiter, vom Teufel gejagt, die steilen krummen Gassen der Altstadt hinauf und hinab, durch die Alleen, über den Bahnhofsplatz. Fortreisen! dachte ich, ging in den Bahnhof, starrte auf die Fahrpläne an den Wänden, trank etwas Wein, versuchte, mich zu besinnen. Immer näher, immer deutlicher begann ich das Gespenst zu sehen, vor dem ich mich fürchtete. Es war die Heimkehr, die Rückkehr in meine Stube, das Stillhaltenmüssen vor der Verzweiflung! Dem entging ich nicht, auch wenn ich noch viele Stunden herumlief, mit der Rückkehr zu meiner Tür, zum Tisch mit den Büchern, zum Diwan mit dem Bild meiner Geliebten darüber, nicht dem Augenblick, da ich das Rasiermesser abziehen und mir die Kehle durchschneiden mußte. Immer deutlicher tat dies Bild sich vor mir auf, und immer deutlicher, mit rasend klopfendem Herzen, fühlte ich die Angst aller Ängste: die Todesfurcht! Ja, ich hatte eine grauenhafte Furcht vor dem Tode. Obwohl ich keinen andern Ausweg sah, obwohl Ekel, Leid und Verzweiflung rings um mich getürmt standen, obwohl nichts mehr mich zu locken, mir Freude und Hoffnung zu machen imstande war, graute mir doch unaussprechlich vor der Hinrichtung, vor dem letzten Augenblick, vor dem kalten, klaffenden Schnitt ins eigene Fleisch!

Ich sah keinen Weg, dem Gefürchteten zu entrinnen. Würde im Kampf zwischen Verzweiflung und Feigheit heute auch vielleicht die Feigheit siegen, morgen und jeden Tag würde von neuem die Verzweiflung vor mir stehen, noch erhöht durch die Selbstverachtung. Ich würde so lange das Messer zur Hand nehmen und wieder wegwerfen, bis es endlich doch einmal getan war. Dann lieber heute noch! Vernünftig sprach ich mir selber zu, wie einem geängstigten Kind, aber das Kind hörte nicht, es lief davon, es wollte leben. Zuckend riß es mich weiter durch die Stadt, in weiten Bogen umkreiste ich meine Wohnung, stets die Heimkehr im Sinn, stets sie verzögernd. Da und dort blieb ich in einer Kneipe hängen, einen Becher lang, zwei Becher lang, dann jagte es mich weiter, im weiten Kreise um das Ziel, um das Rasiermesser, um den Tod herum. Todmüde saß ich zuweilen auf einer Bank, auf einem Brunnenrand, auf einem Prellstein, hörte mein Herz klopfen, wischte mir den Schweiß von der Stirn, lief wieder weiter, voll tödlicher Angst, voll flackernder Sehnsucht nach Leben.

So zog es mich, spät in der Nacht, in einer entlegenen und mir wenig bekannten Vorstadt in ein Wirtshaus hinein, hinter dessen Fenster heftige Tanzmusik erscholl. Überm Tor las ich im Hineingehen ein altes Schild: Zum schwarzen Adler. Drinnen war Freinacht, lautes Menschengetümmel, Rauch, Weindunst und Geschrei, im hintern Saale wurde getanzt, dort wütete die Tanzmusik. Ich blieb im vordem Räume, wo lauter einfache, zum Teil ärmlich gekleidete Leute sich aufhielten, während hinten im Ballsaal auch elegante Erscheinungen zu erspähen waren. Vom Gedränge durch den Raum gestoßen, ward ich neben dem Büfett an einen Tisch gedrängt, ein hübsches bleiches Mädchen saß auf der Wandbank, in einem dünnen, tief ausgeschnittenen Ballkleidchen, eine verwelkte Blume im Haar. Das Mädchen blickte mich, als es mich kommen sah, aufmerksam und freundlich an, lächelnd rückte es ein wenig beiseite und machte mir Platz.

„Darf ich?" fragte ich und setzte mich neben sie. „Gewiß, du darfst", sagte sie, „wer bist du denn?" „Danke", sagte ich, „ich kann unmöglich nach Hause gehen, ich kann nicht, ich kann nicht, ich will hierbleiben, bei Ihnen, wenn Sie es erlauben. Nein, ich kann nicht heimgehen."

Sie nickte, als verstünde sie mich, und indem sie nickte, betrachtete ich die Locke, die von ihrer Stirn am Ohr vorbeifiel, und ich sah, daß die welke Blume eine Kamelie war. Von drüben schmetterte die Musik, am Büfett riefen die Kellnerinnen hastig die Bestellungen aus. „Bleib nur hier", sagte sie mit einer Stimme, die mir wohltat. „Warum kannst du denn nicht heimgehen?" „Ich kann nicht. Zu Hause wartet etwas auf mich – nein, ich kann nicht, es ist zu schrecklich." „Dann laß es warten und bleib da. Komm, wische dir erst die Brille ab, du kannst ja gar nichts sehen. So, gib dein Taschentuch. Was wollen wir denn trinken? Burgunder?" Sie wischte mir meine Brille ab; nun sah ich sie erst deutlich, das bleiche feste Gesicht mit dem blutrot gemalten Mund, mit den hellen grauen Augen, mit der glatten kühlen Stirn, mit der kurzen straffen Locke vorm Ohr. Gütig und ein klein wenig spöttisch nahm sie sich meiner an, bestellte Wein, stieß mit mir an und sah dabei auf meine Schuhe hinunter.

„Mein Gott, woher kommst du denn? Du siehst aus, wie wenn du zu Fuß von Paris gekommen wärst. So kommt man doch nicht an einen Ball."

Ich sagte ja und nein, lachte ein wenig, ließ sie reden. Sie gefiel mir sehr, und ich war darüber verwundert, denn solche junge Mädchen hatte ich bisher gemieden und eher mit Mißtrauen betrachtet. Und sie war genau so mit mir, wie es in diesem Augenblick für mich gut war – oh, und so ist sie auch seither zu jeder Stunde mit mir gewesen. Sie behandelte mich so schonend, wie ich es nötig hatte, und so spöttisch, wie ich es nötig hatte. Sie bestellte ein belegtes Brot und befahl mir, es zu essen. Sie schenkte mir ein und hieß mich einen Schluck trinken, aber nicht zu rasch. Dann lobte sie meine Folgsamkeit.

„Du bist brav", meinte sie ermunternd, „du machst es einem nicht schwer. Wollen wir wetten, daß es lange her ist, seit du zum letztenmal jemandem hast gehorchen müssen?"

„Ja, Sie haben die Wette gewonnen. Woher wußten Sie denn das?"

„Keine Kunst. Gehorchen ist wie Essen und Trinken – wer es lang entbehrt hat, dem geht nichts darüber. Nicht wahr, du gehorchst mir gern?"

„Sehr gern. Sie wissen alles."

„Du machst es einem leicht. Vielleicht, Freund, könnte ich dir auch sagen, was das ist, was daheim auf dich wartet und wovor du solche Angst hast. Aber du weißt es ja selber, wir brauchen nicht davon zu reden, gelt? Dummes Zeug! Entweder einer hängt sich auf, nun ja, dann hängt er sich eben auf, er wird Grund dazu haben. Oder er lebt noch, und dann hat er sich bloß um das Leben zu kümmern. Nichts ist einfacher."

„Oh", rief ich, „wenn das so einfach wäre! Ich habe mich, bei Gott, genug um das Leben gekümmert, und es hat nichts genützt. Sich aufhängen ist vielleicht schwer, ich weiß es nicht. Aber leben ist viel, viel schwerer! Weiß Gott, wie schwer es ist!"

„Nun, du wirst sehen, daß es kinderleicht ist. Den Anfang haben wir schon gemacht, du hast deine Brille geputzt, hast gegessen, hast getrunken. Jetzt gehen wir und bürsten deine Hosen und Schuhe ein wenig, sie haben es nötig. Und dann wirst du einen Shimmy mit mir tanzen."

„Da sehen Sie", rief ich eifrig, „daß ich doch recht hatte! Nichts tut mir mehr leid, als einen Befehl von Ihnen nicht ausführen zu können. Aber diesen kann ich nicht ausführen. Ich kann keinen Shimmy tanzen und auch keinen Walzer und keine Polka und wie die Dinger alle heißen, ich habe nie in meinem Leben tanzen gelernt. Sehen Sie jetzt, daß doch nicht alles so einfach ist, wie Sie meinen?" Das schöne Mädchen lächelte mit seinen blutroten Lippen und schüttelte den festen, knabenhaft frisierten Kopf: Indem ich sie ansah, wollte mir scheinen, sie gleiche der Rosa Kreisler, dem ersten Mädchen, in das ich mich einst als Knabe verliebt hatte, aber die war ja bräunlich und dunkelhaarig gewesen. Nein, ich wußte nicht, an wen dies fremde Mädchen mich erinnerte, ich wußte nur, es war etwas aus sehr früher Jugend, aus der Knabenzeit.

„Langsam", rief sie, „langsam! Du kannst also nicht tanzen? Überhaupt nicht? Nicht einmal einen Onestep? Und dabei behauptest du, weiß Gott, welche Mühe du dir mit dem Leben gegeben habest! Da hast du geflunkert, Junge, das soll man in deinem Alter nicht mehr tun. Ja, wie kannst du sagen, du habest dir mit dem Leben Mühe gegeben, wenn du nicht einmal tanzen willst?"

„Wenn ich es doch nicht kann! Ich habe es nie gelernt." – Sie lachte.

„Aber lesen und schreiben hast du gelernt, gelt, und rechnen und wahrscheinlich auch noch Latein und Französisch und allerlei solche Sachen? Ich will wetten, du bist zehn oder zwölf Jahre in der Schule gesessen und hast womöglich auch noch studiert und hast vielleicht sogar den Doktortitel und kannst Chinesisch oder Spanisch. Oder nicht? Also. Aber das bißchen Zeit und Geld für ein paar Tanzstunden hast du nicht aufgebracht! Na!"

„Es waren meine Eltern", rechtfertigte ich mich, „sie haben mich Latein und Griechisch und all das Zeug lernen lassen. Aber tanzen lernen ließen sie mich nicht, es war bei uns nicht Mode, meine Eltern haben selber nie getanzt." Ganz kalt sah sie mich an, voller Verachtung, und wieder sprach aus ihrem Gesicht etwas, was mich an frühe Jugendzeiten erinnerte.

„So, also deine Eltern müssen schuldig sein! Hast du sie auch gefragt, ob du heut abend in den Schwarzen Adler gehen dürfest? Hast du? Sie sind schon lange tot, sagst du? Na also! Wenn du aus lauter Folgsamkeit in deiner Jugend nicht hast tanzen lernen wollen – meinetwegen! Obwohl ich nicht glaube, daß du damals so ein Musterknabe warst. Aber nachher – was hast du denn nachher alle die Jahre lang getrieben?"


Дата добавления: 2019-02-12; просмотров: 221; Мы поможем в написании вашей работы!

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